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Recruiting – Bachelor oder wahre Liebe?

Abgeschlossenes Hochschulstudium mit Auszeichnung (MA, vorzugsweise in BWL), mindestens 4 Jahre Berufserfahrung, gute Kenntnisse in allen vier Landessprachen und vorzugsweise auch noch Expertise in irgendeinem IT-Bereich. Gefühlt soll heutzutage jeder Kandidat solche absurd hohe Ansprüche erfüllen. Recruiter aus allen erdenklichen Branchen sind auf der Suche nach dem absoluten «Superkandidaten». Diese sollen nicht nur überaus qualifiziert sein, sondern auch noch aussergewöhnliches Engagement und selbstverständlich auch noch Führungsqualitäten mitbringen. Doch lohnt sich die Suche nach dem perfekten Kandidaten überhaupt?

Im Prinzip wird beim Recruiting vielfach so verfahren wie im Sendungsformat vom «Bachelor». Dort buhlt eine ganze Schar von angeblichen Traumfrauen um einen einzelnen Mann, welcher sich dann für die Beste von allen entscheidet. Ob die Teilnehmer der Show tatsächlich Traumfrauen und -männer sind, sei dahingestellt. Die Bewertung von «Bachelor»-Kandidatinnen gehört aber definitiv nicht hierhin. Hier geht es lediglich um den Vergleich.

Nicht nach Äusserlichkeiten beurteilen

Natürlich schreiben Recruiter eine offene Stelle als «Bachelor» aus, also als Traumjob. Sie würden auch einen schlechten Job machen, wenn sie den Bewerbern die Stelle nicht schmackhaft machen würden. Ausserdem wird mit einer Stellenausschreibung das gesamte Unternehmen repräsentiert. Problematisch sind vielmehr die hohen Anforderungen an die Kandidaten. Die Frage ist schliesslich – wollen Sie wirklich für jeden Job einen überdurchschnittlich gut qualifizierten Mitarbeitenden?

Wer nämlich ausschliesslich nach einer Frau (der Vergleich funktioniert natürlich mit Männern genauso) sucht, die klare äusserliche Merkmale erfüllen muss, welche sie aus subjektiver Sicht zur «Traumfrau» macht, wird es schwer haben, dabei die wahre Liebe zu finden. Im schlechtesten Fall profitiert sie möglichst viel von Ihnen und lässt Sie dann sitzen, sobald sie jemanden findet, der ihr mehr bieten kann als Sie. Dieses Risiko vermeiden Sie ganz einfach, indem Sie jemanden suchen, der wirklich zu Ihnen passt. Wenn also eine emotionale Bindung entstehen kann, die stärker ist als das rationale Abwiegen von den Vor- und Nachteilen der Beziehung.

Herausfinden, was einen Kandidaten wirklich passend macht

Sie fragen sich jetzt wahrscheinlich – und dies absolut zu Recht – was dieser klischeehafte «Dating-Ratgeber für Anfänger» in einem Text über Recruiting zu suchen hat. Eine Liebesbeziehung kann natürlich nicht eins zu eins mit einem Arbeitsverhältnis gleichgesetzt werden. Letztlich sind jedoch dieselben Punkte ausschlaggebend für ein erfolgreiches Miteinander. Wünscht man sich eine Beziehung, die stabil ist und lange andauert, müssen die beiden Parteien zwingend gut zueinander passen.

Bevor Sie also eine Stelle ausschreiben, sollten Sie sich ganz genau überlegen, was Sie sich von einem Kandidaten effektiv wünschen. Sind die 2-3 Jahre Berufserfahrung wirklich zwingend notwendig? Spielt es wirklich eine Rolle, ob der Bewerber seinen Bachelor mit 5.8 statt mit 4.9 abschloss? Denken Sie dabei wieder an die Dating-Metapher: Wenn Sie per Zeitungsannonce (der Vergleich funktioniert leider nur mit vorsintflutlichen Methoden) eine 1.80 cm grosse Blondine suchen, schrecken Sie vielleicht die 1.75 cm grosse Brünette ab, die aber wie Sie auf alberne Leslie-Nielsen-Filme abfährt und auch sonst perfekt zu Ihnen passt. Ohne hier Haarfarben oder Körpergrössen bewerten zu wollen, sollten Sie deshalb auch mal ein Auge haben auf Kandidaten, deren «Äusseres» womöglich nicht ganz Ihren Vorstellungen entspricht. Kandidaten also, die auf Papier vielleicht nicht über die richtigen Qualifikationen verfügen, die in Wahrheit aber perfekt zu Ihrem Unternehmen passen könnten.

Die Vorteile von scheinbar unterqualifizierten Kandidaten

Kandidaten mit überdurchschnittlicher Qualifikation zeigen damit auch, dass sie gewillt sind, für ihre Karriere überdurchschnittlich viel zu leisten. Das heisst, sie werden im Betrieb womöglich auch an Stühlen sägen oder beim nächsten besseren Angebot wieder abspringen. Das mag für gewisse Unternehmen genau das Richtige sein, weil dadurch natürlich Dynamik und ein höherer Leistungsdruck entsteht. Viele Unternehmen jedoch möchten lediglich eine Position möglichst langfristig besetzen. Für solche Positionen lohnt es sich, auch mal von Blendern abzusehen, deren Leistungsausweis schon auf den ersten Blick den selbstbewussten «Macher» mit Führungsqualitäten durchblicken lässt. Geben Sie einem unerfahrenen «Durchschnittskandidaten» eine Chance, kann das folgende Vorteile mit sich bringen:

  • Langfristige Bindung: Ein «durchschnittlicher» Kandidat ist womöglich nicht auf die grosse Karriere aus und möchte schlicht die Position ausfüllen, eventuell auch längerfristig. Handelt es sich beim Kandidaten um einen Absolventen, dem Sie die Chance zur ersten Berufserfahrung geben, wird er Ihnen äusserst dankbar sein und deswegen auch eher Loyalität Ihrem Unternehmen gegenüber zeigen.
  • Hohe Einsatzbereitschaft: Im Wissen darum, dass womöglich einige Qualifikationen im gewünschten Portfolio noch fehlen, wird der «normale» Kandidat gewillt sein, Sie von seinen Qualitäten zu überzeugen. Im Gegensatz dazu wird es vielleicht der «Superkandidat» nicht nötig haben, sich richtig reinzuknien, weil er keine Probleme damit hätte, einen neuen Job zu finden.
  • Stimmung bleibt erhalten: Natürlich gibt es für diesen Punkt keine Garantie. Aber ein «Macher», der die Karriereleiter möglichst schnell erklimmen möchte, bringt eher mal Unruhe in ein funktionierendes Team als jemand, der langfristig in der gefragten Position plant.

Dieser Text soll jetzt aber nicht als grundsätzliches Plädoyer für «Durchschnittskandidaten» verstanden werden. Es ist mehr der sehr persönliche und unverständliche Blick auf den aktuellen Arbeitsmarkt. Dieser scheint in vielen Bereichen so anspruchsvoll geworden zu sein, dass ich mir folgende Bitte nicht verkneifen kann: Überlegen Sie sich genau, wer zu Ihnen passt, bevor Sie die letzte Rose vergeben.

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